Unser Experte Thomas Walther hat einen Vortrag zu diesem Thema gehalten
Vergangene Woche hatte ich das VergnĂŒgen am Richmond Marketing Forum eine von drei sogenannte âSupplier Presentationsâ halten zu dĂŒrfen. Der zugegeben etwas sperrige Titel meines Vortrags lautete: âPersonalization as Driving Belt for Digital Transformation? A Reality Check.â
Worum ging es? Personalisierung hĂ€lt sich seit nunmehr 2-3 Jahren konstant unter den Lieblings-Buzzwords des Marketings. Und es ist nicht so, dass sich hinter dem Buzzword nur Schall und Rauch verbirgt, sondern es werden sichtbar messbare Erfolge (also z.B. Conversion-Steigerungen) erzielt. Trotzdem kann man vom Thema schnell ĂŒberrumpelt werden, denn Markt-Analysten, Produktanbieter und Dienstleister (Namics inklusive) bespielen das Thema gleichermassen. Vom entstehenden Geflecht aus Projektreferenzen, Marktstudien, Hypecycles, Produktfeatures, Silicon Valley Gerede oder 10-Lessons-Learned-VortrĂ€gen sollte der Vortrag gezielt einen Schritt zurĂŒcktreten und das Thema Personalisierung einem kleinen Reality Check unterziehen.
Hierzu habe ich rein subjektiv vier Statements (besser: Personalisierungs-Mythen) ausgewÀhlt, die ich alle so im letzten Jahr gelesen oder in diversen Projekten gehört habe, z.B. auf Branchenevents wie der DMEXCO, in Studien von Gartner, Forrester oder EConsultancy, in Keynotes, aber zumeist in Projekten. Und vorweg gesagt: Solche Statements sind nicht pauschal Blödsinn, aber definitiv auch nicht die Wahrheit. Der eingebettete Vortrag (siehe unten) geht auf die Mythen detailliert ein, daher hier nur die Essenzen zusammengefasst:
âPersonalization is about the âsegment of oneâ, a totally individual offering to each client.â
Diesen Mythos hört, bzw. liest man hunderte Male, z.B. auf diversen Marketing-Konferenzen. Richtig ist aber: Personalisierung beginnt nicht beim âsegment of oneâ, sondern ist meiner Meinung nach am sinnvollsten (insb. effizientesten) auf der Ebene von vorab definierten Segmenten. Dies beginnt bei der Unterscheidung von nur zwei Zielgruppen (Stichwort Versicherer: PK, UK) ĂŒber 3-4 (Automobil: Spassfahrer, Komfort-Suchender, Familien, âŠ) bis hin zu 5-6 (Kino: Film-Enthusiast, Mit-Freunden-ins-Kino-Geher, AusgewĂ€hlte-Filme, âŠ). Fragen, die man sich im Gegenzug allerdings stellen sollte sind z.B. Welchen Nutzen bringt ein zusĂ€tzliches Segment?, Wieviele Segmente kann ich verwalten (im Marketing sinnvoll bespielen)? oder Wie kann ich diese Segmente identifizieren und differenzieren? Gelingt dies, kann man sich der personalisierung des Angebots (Content, Service oder Produkt) fĂŒr das Segment widmen, z.B. einen Kinoplaner fĂŒr das Segment des âSocial Movie Passionateâ.
âPersonalization is too complicated for us and we ainât got the organization for that.â
Ein typisches Statement aus einem typischen Projektteam. Richtig ist aber: Personalisierung ist definitiv nicht zu komplex, birgt aber gewisse AufwĂ€nde. Oft unterschĂ€tz werden z.B. die Content-Erstellung, das Identifizieren und zur VerfĂŒgung stellen der Datengrundlage oder die AufwĂ€nde beim EinfĂŒhren einer Personalisierungs-Software zur spĂ€teren Implemtierung der Personalisierungsmassnahmen. Stellt man sich auf solche Dinge ein, wird der Mythos recht schnell entkrĂ€ftet.
â86 % of all marketers say that personalization is the key to more sales.â
Zugegeben ein lukrativer Trugschluss: Wenn ich den Kunden 1:1 ansprechen bzw. offerieren kann, kann ich ihm mehr verkaufen. Leider stimmt dies nicht 1:1, da man hierbei schlicht den Beitrag von Personalisierung auf die Nachfragefunktion ĂŒberschĂ€tzt. An Beispielen wie Auto, Versicherung oder Kinoticket wird klar, dass es rein auf der Angebotsseite grosse Limitationen fĂŒr Personalisierung gibt (Stichwort: Wie weit lĂ€sst sich ein Kinoticket personalisieren: passendes Kino, Film, Uhrzeit, Sitzplatz, Sitznachbar, mit Popcorn, ⊠und dann?) und im Umkehrschluss das individuelle Angebot samt Bepreisung schwer bereitzustellen ist. Trotzdem unternimmt man mit Personalisierung einen Schritt genau in diese Richtung, der Ăkonom spricht von Preisdifferenzierung 2. oder 3. Ordnung. Essentiell ist daher dass Messen der Massnahmen und zwar individuell und Schritt fĂŒr Schritt, z.B. âFĂŒhrt die Segmentierung in âjunge Erwachseneâ und darauf aufbauende Personalisierung des angezeigten Angebots âJugendkontoâ zu mehr Online AbschlĂŒssen?â.
âNetflix are top of class when it comes to personalization â do it like them to be successful.â
Der letzte Mythos stammt aus zahlreichen Keynotes, denen man im Verlauf eines Jahres zuhören kann. Konkret geht es eigentlich auch nicht um Netflix, sondern um den Imperativ, der in diesen Keynotes oft propagiert wird. Netflix bot sich aus aktuellem Anlass natĂŒrlich an. Kurz gesagt stimmt der Mythos halb: NatĂŒrlich gehen Unternehmen wie Netflix, Spotify, Amazon oder Google technisch voran was das Thema Personalisierung angeht, aber wie das Beispiel Netflix zeigt sind auch sie nicht vor Fehlern, bzw. RĂŒckschlĂ€gen befreit. Wichtig ist daher die Einstellung, insb. eine positive Fehlerkultur. Das Beispiel Netflix zeigt letztlich, dass man sich zum einen gar nicht vergleichen kann (organisatorisch, finanziell, produktseitig), aber zum anderen trotzdem lernen kann (Relevanz von Testing, Offenheit, Fehlerkultur, Commitment zum Thema, spielerischer Umgang trotz klarer Businessziele).
Ein Fazit? Bei einem 45 Minuten Vortrag bleiben immer offene Fragen, insb. wenn es um eine allgemeingĂŒltige Einordnung der Reife eines Themas gehen soll. Ich meine aber, dass man allein durch die Betrachtung dieser vier Mythen zeigen kann, dass das Thema Personalisierung merklich gereift ist. Es geht nicht mehr um eine generelle ErklĂ€rung oder das AufrĂ€umen grosser MissverstĂ€ndnisse, sondern eher um Aspekte wie das SchĂ€rfen des KundenverstĂ€ndnisses, das Definieren des richtigen technischen und organisatorischen Setups und das Anpassen des eigenen Angebots. Zusammenfassend komme ich damit zum Schluss, dass gelungene Personalisierungsvorhaben viel von einer eingangs sauber definierten Strategie profitieren, eigentlich sogar damit stehen und fallen.